Aus Italo Calvinos „Italienischen Märchen“, einer Sammlung italienischer Märchen, deren Themen und Sprache Calvino tief analysierte.
Wie das Salz
Es war einmal ein König, der drei Töchter hatte: Die eine war dunkelhaarig, die andere braunhaarig und die dritte blondhaarig. Die erste war gar nicht schön, die zweite war nicht besonders schön und die dritte war die netteste und die schönste. Die älteren Schwestern waren neidisch.
Der König hatte auch drei Throne: einen weißen, einen roten und einen schwarzen. Wenn er gut gelaunt war, saß er auf dem weißen Thron, wenn es ihm so lala ging, auf dem roten und wenn er wütend war, saß er auf dem schwarzen Thron.
Eines Tages setzte sich der König auf den schwarzen Thron, weil er schlechte Laune wegen der älteren Töchter hatte. Sie fingen mit dem Schmeicheln an: Die älteste fragte ihn, ob er gut geschlafen habe. „Sind Sie meinetwegen wütend, sitzen Sie meinetwegen auf dem schwarzen Thron?“
„Ja, ich bin auf dich wütend.“
„Aber wieso, mein Vater?“
„Weil ihr mich ja nicht lieb habt.“
„Ich? Doch ich hab Sie lieb!“
„Wie lieb hast du mich?“
„Wie das Brot.“
Der König schnaubte, trotzdem sagte er nichts mehr, weil er völlig zufrieden mit der Antwort war.
Die zweite Tochter kam. „Mein Vater, haben Sie gut geschlafen? Warum sitzen Sie auf dem schwarzen Thron? Sind Sie vielleicht auf mich wütend?“
„Ja, auf dich.“
„Aber wieso denn auf mich, mein Vater?“
„Weil ihr mich ja nicht lieb habt.“
„Aber ich hab Sie so lieb…“
„Wie lieb hast du mich?“
„Wie den Wein“
Der König brummte etwas, allerdings sah er zufrieden aus.
Die jüngste kam ganz heiter vor den König. „O mein Vater, haben Sie gut geschlafen? Auf dem schwarzen Thron? Wieso? Sind Sie auf mich wütend?“
„Ja, auf dich, weil du mich auch nicht lieb hast.“
„Doch ich hab Sie lieb!“
„Wie lieb hast du mich?“
„Wie das Salz.“
Als er eine solche Antwort hörte, kochte er vor Wut.
„Wie das Salz! Wie das Salz! Ach, du ruchlose Tochter! Weg von mir, ich will dich nicht mehr sehen!“ und er befahl, dass man sie in den Wald begleitete und dort sie tötete.
Ihre Mutter, die Königin, die sie recht lieb hatte, überlegte schlaflos, um einen Weg zu finden, sie zu retten. Im königlichen Palast gab es einen so großen Leuchter, dass Zizola – so hieß die Königstochter – sich da drinnen verstecken konnte. „Geh diesen Leuchter verkaufen“ befahl die Königin ihrem treusten Diener „und wenn man dich fragt, wie viel er koste, sag viel, wenn sie arme Leute sind, sag wenig und gib ihn ihnen, wenn sie reich sind.“ Dann umarmte sie die Tochter, gab ihr viele Ratschläge und steckte im Leuchter gedörrte Feigen, Schokoladen und Kekse.
Der Diener brachte den Leuchter auf den Marktplatz und bat die, die ihn fragten, wie viel er kostete, um eine Unmenge Geld, wenn sie nicht besonders reich aussahen. Aber endlich kam der Prinz von Hohenturm vorbei, er überprüfte den Leuchter und fragte ausschließlich, wie viel er kostete. Der Diener gab ihm den Leuchter für wenig Geld und der Prinz ließ seine Diener den Leuchter in den Palast bringen. Er stellte ihn mitten in den Speisesaal und alle bewunderten ihn beim Essen.
Am Abend ging der Prinz auf die Terrasse zum Reden; da er wollte, dass niemand blieb und auf ihn wartete, hinterließen ihm die Diener ein vorbereitetes Mahl und gingen schlafen.
Als Zizola hörte, dass niemand mehr im Saal war, sprang sie vom Leuchter heraus, aß das ganze Mahl und sprang wieder hinein. Der Prinz kam, fand nichts zum Schmausen, läutete all die Klingeln und schimpfte mit den Dienern. Sie schwuren, dass sie alles für ihn vorbereitet hatten und der Hund oder die Katze sein Mahl gefressen haben könnte.
„Wenn so was noch mal passiert, entlasse ich euch alle!“ sagte der Prinz; danach ließ er sich ein anderes Mahl vorbereiten, aß zu Abend und ging zu Bett.
Am folgenden Abend geschah das Gleiche, obwohl das Tor und all die Türen des Palasts abgeschlossen waren. Es schien, dass der Prinz den ganzen Palast durch sein Schreien einstürzen lassen wollte; aber dann sagte er, er würde am folgenden Abend noch mal sehen, was passieren würde.
Was machte der Prinz, als der nächste Abend kam? Er versteckte sich unter den Tisch, der durch eine Decke bis zum Boden bedeckt war.
Die Diener kamen, setzten die vollen Teller auf den Tisch, schickten den Hund und die Katze weg und schlossen die Tür ab. Sie waren kaum ausgegangen, als der Leuchter sich auftat und die schöne Zizola herauskam. Sie ging an den Tisch und kaute mit vollen Backen.
Da sprang der Prinz heraus, fasste sie beim Arm, sie versuchte zu fliehen, doch er hielt sie fest!
Zizola fiel vor ihn auf die Knie und erzählte dem Prinzen ihre ganze Geschichte. Der Prinz war inzwischen schon in sie verschossen. Er beruhigte sie und sagte ihr: „Gut, von jetzt ab, sag’ ich Euch, Ihr seid meine Braut! Nun kehrt in den Leuchter zurück.“
Im Bett konnte der Prinz die ganze Nacht nicht einschlafen, so sehr war er verknallt; und am folgenden Morgen hieß er die Diener, den Leuchter neben sein Bett zu stellen, er sagte, er sei so schön, dass er ihn neben sich wollte. Danach befahl er den Dienern, ihm Doppelportionen ins Zimmer zu bringen, da er Hunger hatte. Deshalb bekam er doppelten Kaffee, doppeltes Frühstück, doppeltes Mittagessen und so weiter und so fort. Sobald sie ihm die Teller gebracht hatten, schloss er die Tür ab, ließ seine Liebste heraus und sie schmausten fröhlich zusammen.
Die Königin, die währenddessen alleine am Tisch geblieben war, seufzte einsam: „Was wird denn mein Sohn gegen mich haben? Warum kommt er nicht mehr essen? Wie kann ich ihm leid getan haben?“
Er sagte ihr immer wieder, sie solle sich dulden, er wolle noch ein wenig abseits bleiben; bis er eines Tages der Mutter sagte: „Ich will heiraten!“
„Und wer wird deine Braut sein?“ fragte heiter die Königin.
Und der Prinz: „Ich will den Leuchter heiraten!“
„O weh! Mein Sohn ist verrückt!“ sagte die Königin, indem sie sich das Gesicht mit den Händen bedeckte. Doch er sagte es ernsthaft. Die Mutter versuchte ihn zu überzeugen, daran zu denken, was das Volk sagen würde; doch er gab nichts auf: Er befahl, in acht Tagen die Hochzeit vorzubereiten.
Am achten Tag fuhr ein prunkvoller Zug mit vielen Kutschen vom Palast zur Kirche, in der ersten Kutsche saß der Prinz mit dem Leuchter. Sie kamen an, der Prinz trug selbst den Leuchter bis zum Altar. Als der richtige Moment kam, machte der Prinz den Leuchter auf und Zizola sprang heraus, ein Brokatkleid an, eine prächtige Halskette um den Hals, funkelnde Ohrringe an den Ohren.
Nachdem die beiden geheiratet hatten, kehrten sie in den Palast zurück und erzählten alles der Königin.
Die Königin, die sehr schlau war, rief aus: „Lass uns diesen Vater zurechtweisen!“
Sie planten nämlich das große Hochzeitfest und luden die Könige der Länder, die an ihr Land grenzten, das heißt auch Zizolas Vater, ein. Und genau für ihn ließ die Königin absichtlich nur salzloses Essen zubereiten, dann zeigte sie an, die junge Gattin fühle sich nicht gut und könne nicht herunter kommen. Sie fingen an zu essen; aber der König fand seine Suppe geschmacklos und begann zu murmeln: „Ach dieser Koch, dieser Koch! Er hat vergessen, die Suppe zu würzen!“ und er ließ sie im Teller. Dann kam ein Fleischgericht, das auch salzlos war. Der König legte die Gabel auf den Tisch.
„Warum essen Sie nicht, Majestät? Schmeckt es Ihnen nicht?“
„Aber nein, dieses Fleisch schmeckt wunderbar!“
„Und warum essen Sie’s nicht?“
„Na ja… Also, ich fühl’ mich nicht so gut…“
Er versuchte sich noch ein Stückchen Fleisch in den Mund zu stecken, aber er kaute und kaute wieder, ohne es verschlucken zu können. Und da fiel ihm die Antwort seiner Tochter ein, die ihn wie das Salz lieb hatte, und der Gewissensbiss ließ sich so stark und plötzlich spüren, dass er fast zu weinen anfing, indem er ausrief: „Oh weh, was hab’ ich gemacht!“
Die Königin fragte ihn, was er habe, und er begann, ihr alles über Zizola zu erzählen. Die Königin stand da auf und ließ die Gattin ihres Sohnes rufen. Der Vater umarmte sie, weinte, fragte sie, wieso sie da war, und es schien ihm, auferstanden zu sein. Sie ließen Zizolas Mutter auch dahin kommen und feierten jeden Tag die Hochzeit durch ein neues Fest, und wenn sie nicht gestorben sind, glaube ich, tanzen sie immer noch.
Aus Bologna
Mosetto (3D)